Warten – Erwarten – Advent – Weihnachten

Es gibt eine Zeit des Wartens und des Erwartens. Die Adventszeit ist beides, wir warten und erwarten. Besteht aber überhaupt ein Unterschied zwischen diesen beiden Worten? Ist Warten nicht dasselbe wie Erwarten? Warten beschreibt die Zeit vor dem Eintreten eines Ereignisses.

Das Erwarten, die Erwartung, bezieht sich auf das kommende Ereignis und beeinflusst unser Gefühl während des Wartens.

Warten kann positiv oder negativ behaftet sein:

  • Wir warten z. B. auf das Ergebnis der Untersuchung im Krankenhaus – sind wir krank
    oder gesund?
  • Wir warten auf die Stelle, um die wir uns beworben haben – werden wir genommen
    oder abgelehnt?
  • Wir warten auf die Liebe – ist da jemand, der auf uns wartet?
  • Wir warten auf das Kind – wird es ein gesundes Kind?
  • Wir warten auf das Glück, auf das Leben, auf den Tod, darauf, dass das
    Leid ein Ende hat oder dass die Freude kommen soll.
  • Wir warten auf den Sinn, die Antwort, ein Verstehen.
  • Wir warten auf den Besuch einer Freundin, die wir lange nicht gesehen haben, auf eine Reise, für die wir schon seit Ewigkeiten gespart haben oder ein Ereignis, dem wir seit Monaten entgegenfiebern.

Im Advent warten wir auf Weihnachten.

Wenn wir auf etwas Positives, auf ein freudiges Ereignis warten, dann können wir oft lächelnd, freudig und still warten. Vorfreude und Sehnsucht entstehen. So verhält es sich aber nicht immer. Es kann auch zu Angst und Unruhe kommen.

Oder vielleicht sind wir gar verärgert, beleidigt oder zornig. Warum kommt das nicht, worauf
wir warten? Oder wann kommt es? Wir sind ungeduldig in unserem Warten und meinen,
es sei nicht gerecht, dass wir warten müssen. Unser Warten erhält Züge der Berechtigung. Wir meinen, wir haben ein Recht auf Glück, Liebe, das Kind, die Freude, den Sinn. Wir haben keine Zeit mehr, darauf zu warten, dass es zu uns kommt, oder keine Geduld, uns damit
abzufinden, dass es vielleicht nicht in der Gestalt kommt, die wir uns gewünscht haben.
Uns fehlen Gelassenheit und Geduld.

Warten auf etwas Positives, auf eine Belohnung kann unsere Selbstkontrolle stärken.

Dies wurde bereits in den 1960er-Jahren vom Psychologen Walter Mischel untersucht. Er stellte vier- bis sechsjährige Kinder vor die Qual der Wahl: ein Marshmallow sofort aufzuessen – oder 20 Minuten zu warten, um dann zwei zu bekommen. Ein Teil der Kinder konnte den aufkommenden Stress und die negativen Emotionen beim Warten bereits gut bewältigen. Sie dachten sich Methoden aus um sich abzulenken. Warten fördert die kognitive Entwicklung und stärkt die Selbstkontrolle/Impulskontrolle.

Die Wartezeit kann auch eine sehr wertvolle Zeit, eine Zeit zum Durchatmen sein. Eine Zeit, wo wir mit allen unseren Sinnen im Hier und Jetzt sind. Zeit, die wir ganz für uns haben (zumindest gedanklich). Dabei können wir die Gedanken und Blicke schweifen lassen, mal wieder ein Buch lesen oder wertvolle Gespräche führen.

Vielleicht möchten Sie sich folgende Fragen stellen:

Was geht in mir vor, wenn ich auf etwas oder jemanden warte(n muss)?

Was hilft mir, was brauche ich, dass ich mich mir selber, meinem Inneren zuwenden kann?

Wir empfinden die Wartezeit jedoch oft als verloren gegangene Zeit, es kommen negative Gefühle oder auch Stress auf.So überlegen wir während des Wartens etwa, was es noch alles zu tun gäbe und was wir während der Wartezeit alles erledigen hätten können. Tag für Tag laufen wir in unserem Hamsterrad – es gibt zu viele Punkte auf unserer To-Do-Liste. Die Tage sind zu kurz, sie haben zu wenige Stunden. Wir versuchen täglich noch mehr zu schaffen, allem und allen gerecht zu werden. Unsere Bedürfnisse stellen wir hinten an. Und dennoch ist kein Ende in Sicht, um uns endlich auszuruhen. Wir haben die Wartezeit dringend nötig aber machen immer noch weiter. Der Alltag fordert es, der Beruf, unsere Familie…Vielleicht machen wir solange weiter, bis wir psychisch und körperlich zusammenbrechen. Unser Körper bringt uns also unfreiwillig in eine Position des Wartens, des Achtsam seins, sich wieder spüren, sich mit seinem Leben befassen – wo stehe ich – was sind meine Lebensziele?

Vielleicht erkennen wir es aber rechtzeitig oder wir haben liebe Menschen, die uns Hilfe anbieten, uns daran erinnern, dass es Zeit ist in die Position des Wartens – der Achtsamkeit – des Reflektierens zu gehen, um Kraft zu tanken. Wir sollten es nicht so weit kommen lassen, dass unser Körper uns stoppen muss, sondern regelmäßig Wartezeiten einplanen um unsere Lebensenergie, unsere Akkus wieder aufzuladen. Die Zeit des Wartens kann für uns ein Aufbruch sein, ein Neubeginn.

Vielleicht gehören Sie aber zu den vielen Menschen, die ihr ganzes Leben damit verbringen, zu warten. Damit ist aber nicht das Warten gemeint, das uns unsere Lebensenergie zurückgibt. Hier geht es um ein Warten, wo der Fokus so stark auf dem erwarteten Ereignis liegt, sodass das eigentliche Leben kaum mehr wahrgenommen wird und an Ihnen vorbei geht. Das Leben wird in seiner Tiefe nicht mehr gelebt. Tritt das Ereignis ein, dann wird auf das Nächste gewartet.

Erwarten/Erwartung – ist unsere Vorstellung vom Ereignis. Eine Erwartung entsteht durch die persönliche Bewertung des kommenden Ereignisses. Diese findet teilweise unbewusst statt. Ein identes Ereignis wird aufgrund unserer Individualität oft sehr unterschiedlich erlebt und bewertet. Fällt diese positiv aus, dann entstehen Gefühle von Wohlempfinden, bei negativer Bewertung kommt es zu Stress und Ängsten. Unsere Erwartung an uns selbst als Person, als Mensch kann uns stark unter Druck setzen – genüge ich – mache ich Dinge gut – mache ich Fehler…? Eine gut ausgeprägte Resilienz, unsere psychische Widerstandsfähigkeit, hilft uns unsere Erwartungen positiver zu gestalten.

Wie stark ist Ihr Resilienzfaktor Akzeptanz – Selbstakzeptanz ausgeprägt?

Einer unserer Glaubenssätze lautet zum Beispiel: Sei perfekt!

Die Antwort könnte sein:

„Ich bin okay trotz Fehler – Ich gebe mein Bestes und achte auf mich“!

Wie stark ist der Resilienzfaktor Optimismus bei Ihnen ausgeprägt?

Vielleicht möchten Sie sich diese Frage stellen:

In schwierigen Situationen erwarte ich immer das Beste?

„Stimmt – stimmt ein bisschen – stimmt gar nicht“!

Worauf warten wir nun eigentlich im Advent?

Auf die Ankunft von Jesus – auf ein schönes Fest im Kreise der Familie – viele Geschenke – Streit und Konflikte? Und wie bereiten wir uns auf Weihnachten vor? Wie füllen wir die Wartezeit aus? Die Zeit des Wartens ist bei vielen eine unruhige und turbulente Zeit mit Einkaufen um das passende Geschenk zu finden, Zubereiten delikater Speisen, Besuch von Weihnachtsfeiern, der Christkindlmärkte ect. Auch die Christmette oder das Krippenspiel am heiligen Abend stehen am Programm. Die Traditionen an Weihnachten müssen sein – Hauptsache besinnlich. Und danach gibt es einiges an Müll und vielleicht das ein oder andere unnütze Geschenk, oft nur kurzfristige Freuden nach der Bescherung, danach Warten auf Silvester!

Früher war die Adventszeit eine Art zweite Fastenzeit im Jahreslauf, eine stille Zeit, kein Trubel, kein Lärm. Der Advent könnte eine wertvolle Zeit des Wartens, des Innehaltens sein, zum Kraft tanken und Regenerieren. Sich ganz bewusst Zeit für sich zu nehmen um sein bislang gebautes Lebenshaus, seine Biographie zu betrachten? Die vielen kleinen und großen Erinnerungen hervorzuholen, sich auch den Schattenseiten des eigenen Lebens, des Seins zu stellen – Aufzuräumen. Zeit um die Lebensziele neu zu formulieren – vielleicht die Zeit für einen Neuanfang. Achtsam eigene Bedürfnisse wahrnehmen und darauf eingehen. Zeit für aktives Zuhören gegenüber unseren Mitmenschen, unseren Lieben. Zeit für Empathie, Mitgefühl. Ja, Zeit um vergessene oder verloren gemeinte Freundschaften wieder aufzunehmen. Zeit um wieder liebevoller miteinander umzugehen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Uns

eine besinnliche Zeit des Advents und Frohe Weihnachten.

Susanna Karin Krismann (Psychologin)